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24.08.2023

Schritte auf dem Weg zur Heilung

Das Leben in den verwahrlosten Stadtteilen von Johannesburg ist hart. Viele Bewohner:innen sind durch Gewalt oder den Verlust von Familienangehörigen traumatisiert, dazu kommt eine hohe Arbeitslosigkeit und mangelhafte Infrastruktur. Dank der psychologischen Betreuung durch eine lokale Partnerorganisation von SolidarMed können Betroffene ihre Erlebnisse verarbeiten und ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen.

Die 38-jährige Sarah Makwetu* (zweite v. l.) mit einem Teil ihrer Familie vor dem einfachen Zuhause in Soweto. Sie alle können dank der Unterstützung von SCPS, einer lokalen Partnerorganisation von SolidarMed, wieder lachen.

Es sind schwierige und traurige Schicksale, denen die Mitarbeiter:innen der SolidarMed-Partnerorganisation SCPS tagtäglich begegnen: Die junge Frau, die in einem Umfeld geprägt von Aids und Drogenkonsum aufwuchs, mit 17 Jahren schwanger wurde und mit ihrem Kind nicht zurechtkommt. Die 22-Jährige aus Simbabwe, die HIV-infiziert ist und in grosser Armut und ohne Chancen auf eine feste Anstellung in einer informellen Siedlung lebt. Oder die Teenagerin, die ihre Mutter und Grosseltern verloren hat und Anzeichen eines schweren Traumas zeigt.

Sie alle werden von den psychologischen Berater:innen, Gemeinde- und Sozialarbeiter:innen der Non-Profit-Organisation SCPS betreut. Die Abkürzung steht für «Sophiatown Community Psychological Services» (auf Deutsch: Psychologische Dienste der Gemeinde Sophiatown). Die Partnerorganisation von SolidarMed bietet Einzel- und Gruppentherapien für rund 700 Kinder, Jugendliche und Erwachsene an. Die Sitzungen finden entweder in einem der beiden Büros in zwei unterschiedlichen Stadtteilen von Johannesburg statt, oder die Mitarbeiter:innen besuchen die Klient:innen zuhause. Dabei werden die Menschen ermutigt, über ihre Erlebnisse zu sprechen. Gemeinsam wird nach Lösungen gesucht, wie sie besser mit ihrer Situation zurechtkommen können.

"Wir haben mit Kindern zu tun, die verhaltensauffällig sind, grosse Lernschwierigkeiten haben, die Schule ganz abbrechen oder im schlimmsten Fall in die Drogen abrutschen."

Tshepo Nyembe, psychologischer Berater bei SCPS.

In Gruppentherapien sprechen junge Erwachsene über Schwierigkeiten im persönlichen Umfeld und bei der Arbeitssuche und suchen gemeinsam nach Lösungen.

Das Leben in den verwahrlosten Stadtteilen von Johannesburg ist hart. Viele Bewohner:innen sind neben mangelhafter Infrastruktur und hoher Arbeitslosigkeit auch mit Gewalt oder dem Verlust von Familienangehörigen konfrontiert.

Ein sicherer Ort

Für viele sind die Sitzungen der einzige Moment im Alltag, wo sie sich ihren eigenen Bedürfnissen widmen und Gefühle wie Trauer oder Scham ausdrücken können. Gerade für Kinder, die ihre Eltern früh verloren haben, sei es ein neues und befreiendes Erlebnis, erzählt der psychologische Berater Tshepo Nyembe: «Wir sehen oft, dass sich Kinder nicht gewohnt sind, über ihre Gefühle des Verlusts zu sprechen. Stattdessen werden sie verhaltensauffällig, haben grosse Lernschwierigkeiten, brechen die Schule ganz ab oder rutschen im schlimmsten Fall in die Drogen ab.» Doch gerade für junge Menschen, die unter schwierigsten Bedingungen aufwachsen, wäre psychosoziale Unterstützung besonders wichtig. «Ansonsten wird aus ihnen eine weitere Generation wütender, verzweifelter Erwachsener», ergänzt Johanna Kistner, Psychologin und langjährige Direktorin von SCPS.

Durch die Einzel- und Gruppentherapien lernen die Menschen, sich mit den eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen, Blockaden zu überwinden und das Selbstvertrauen zu stärken. Darüber hinaus bieten die Sitzungen auch Gelegenheit, Rollenbilder kritisch zu hinterfragen. So werden Jugendliche und Erwachsene beispielsweise ermutigt, problematische Vorstellungen von Männlichkeit zu hinterfragen, toxische Beziehungen zu beenden oder sich von konservativen Erwartungen der Familien zu lösen. Auch für diese Themen findet sich bei SCPS Raum. Denn auch sie sind Schritte in Richtung Heilung.

Nach einem Trauma zurück ins Leben finden

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Um zu sehen, welche Veränderungen die Sitzungen bei ihren Klient:innen bewirken, achtet SCPS auf drei Kriterien: «Erstens achten wir auf die Handlungsfähigkeit, also wie aktiv jemand sein Leben wieder in die Hand nehmen kann», erklärt Johanna Kistner. Dazu gehörten auch scheinbare Selbstverständlichkeiten wie das Einhalten von Abmachungen oder ein gepflegtes Erscheinungsbild. «Zweitens schauen wir auf die Fähigkeit zur Bewältigung von Stress im Alltag. Und drittens gilt auch die Annahme von Unterstützung aus dem Umfeld als wichtiger Erfolg», sagt sie. Alles sind Anzeichen für eine verbesserte psychische Gesundheit, für gesündere Beziehungen und gestärkte Fähigkeiten, sich im Alltag zurechtzufinden.

Gestärkt heranwachsen

Eine grosse Herausforderung bleiben allerdings die schwierigen Lebensumstände, in denen sich viele Menschen in Johannesburg befinden. Deshalb werden manche Personen nicht nur über Wochen, sondern über Monate bis Jahre hinweg begleitet. Eine von ihnen ist die 38-jährige Sarah Makwetu*. Sie lebt als alleinerziehende Mutter mit ihren vier Kindern, den drei Töchtern ihrer an Aids verstorbenen Schwester und einem jüngeren Bruder in Meadowlands, das zum Stadtteil Soweto gehört. Die Gegend ist geprägt von Arbeitslosigkeit, Kriminalität, sexueller Gewalt, hohen HIV-Raten sowie schlechter Infrastruktur. Wie fast überall in Südafrika kommt es zudem täglich zu mehrstündigen Stromunterbrüchen.

"Dank SCPS wachsen meine Kinder und Nichten zu verantwortungsvollen jungen Erwachsenen heran."

Sarah Makwetu*, alleinerziehende Mutter aus dem Stadtteil Soweto in Johannesburg.

Mit SCPS kam die Familie das erste Mal vor acht Jahren in Kontakt, vermittelt durch eine andere lokale Organisation, von der sie Essenspakete erhielt. Die drei Nichten konnten eine Gruppentherapie mit anderen Kindern machen, deren Eltern an Aids verstorben sind. Später traten die vier ältesten Kinder der Familie der Gruppe «Khula Nathi» bei, was auf Xhosa so viel heisst wie «gemeinsam wachsen». Dort trafen sie auf andere junge Menschen aus ähnlichen Verhältnissen, sprachen über ihre Schwierigkeiten und Wünsche und unternahmen gemeinsam Ausflüge, um eine Perspektive über das Leben in Soweto hinaus zu gewinnen. Auch bei der beruflichen Orientierung werden mehrere Kinder der Familie unterstützt und unter anderem ermutigt, nicht bestandene Abschlussprüfungen zu wiederholen.

«Dank SCPS wachsen meine Kinder und Nichten zu verantwortungsvollen jungen Erwachsenen heran», sagt Sarah Makwetu nicht ohne Stolz. Und sie selbst sei zu einer besseren Mutter geworden. In den Gesprächen findet sie Gehör für ihre Schwierigkeiten als alleinerziehende Mutter ohne festes Einkommen. Ausserdem konnte sie erstmals über den Verlust eines ihrer Zwillinge kurz nach deren Geburt sprechen. Das sei in ihrem Umfeld sonst ein Tabu: «Es heisst, man solle nicht um einen Zwilling trauern, der gestorben ist. Sonst bringe es dem Zwilling, der überlebt hat, Unglück», erzählt sie. SCPS unterstützte die 38-Jährige dabei, ihre Trauer zu bewältigen und neue Motivation dafür zu finden, sich auf Stellen zu bewerben. So absolvierte sie einen Backkurs, bildet nun selbst andere aus und möchte sich bald selbstständig machen.

Psychische Gesundheit für alle?

Mit der kostenlosen psychologischen Unterstützung springt SCPS in eine Lücke, die der südafrikanische Staat nicht füllt. Für die wohlhabende Bevölkerung Johannesburgs, die ausserhalb des Stadtzentrums wohnt und mehrheitlich weiss ist, sind psychologische Dienstleistungen gegen Bezahlung durchaus verfügbar. Für die ärmere, mehrheitlich schwarze Bevölkerung im verwahrlosten Stadtzentrum, in den dicht besiedelten Townships und den informellen Siedlungen hingegen trifft dies nicht zu. In diesen Stadtteilen gibt es ausser SCPS kaum Angebote, obwohl hier der Bedarf aufgrund der prekären Lebensumstände und der weitverbreiteten Gewalt besonders gross wäre. Zudem leben in diesen Stadtteilen viele Migrant:innen und Asylsuchende aus anderen Ländern des südlichen Afrikas, die von staatlichen Gesundheitsdiensten oft gänzlich ausgeschlossen sind. Denn viele von ihnen haben aufgrund der weitverbreiteten Korruption keine gültigen Papiere oder ihnen wird aus Fremdenfeindlichkeit der Zugang zu Diensten verweigert. Aus diesen Gründen betreut SCPS vorwiegend Menschen aus sehr armen Verhältnissen, viele davon sind Migrant:innen oder Asylsuchende.

Ein Fenster zur Hoffnung

Das Beispiel von Sarah Makwetu und ihrer Familie zeigt, wie vielseitig die psychologische Unterstützung von SCPS ist. Sie umfasst nicht nur die Bewältigung einer akuten Krise, sondern auch die Stärkung von Resilienz und Eigenverantwortung, um zukünftige Krisen zu verhindern oder sie besser zu meistern. Bei einigen Klient:innen übernimmt SCPS auch die Schulgebühren oder finanziert Schuluniformen. Denn Direktorin Johanna Kistner ist überzeugt: «Um den Menschen nachhaltig zu helfen, muss auf das ganze Spektrum der Ursachen ihrer Not eingegangen werden, also familiäre, soziale, erzieherische und wirtschaftliche Gründe». Die Abgrenzung zwischen dem, was SCPS leisten könne und dem, was über die Möglichkeiten der Organisation hinaus gehe, sei aber nicht immer einfach. Deshalb arbeitet SCPS mit anderen lokalen Non-Profit-Organisationen zusammen, welche noch stärker auf finanzielle und materielle Unterstützung fokussieren.

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Wenn es einer Person psychisch besser geht und sie gestärkt durchs Leben gehen kann, ist es denn auch auf eine Mischung aus verschiedenen Einflüssen zurückzuführen: Auf die Kraft und den Willen der Person selbst, auf die Unterstützung im persönlichen Umfeld, auf materielle und psychosoziale Dienstleistungen – und im Idealfall auf ein wenig Glück, um eine Arbeit zu finden und der Armut zu entkommen. Dank der Unterstützung durch SolidarMed kann SCPS dabei gezielte Impulse setzen. Vor allem aber können die Mitarbeiter:innen da sein und zuhören, wenn es sonst niemand macht.

*Name zum Schutz der Person geändert.


Erfahren Sie mehr über das Projekt

In den Townships von Johannesburg ist die HIV-Prävalenz überproportional hoch. SolidarMed verhilft armuts- und HIV-betroffenen Kinder und Betreuungspersonen den Kreislauf von Depression und Hilflosigkeit zu durchbrechen und ihr Leben aktiv und verantwortungsbewusst zu gestalten.