16.09.2022
«Ich bin nicht jemand, der dasitzt und Däumchen dreht.»
Peter Hellmold arbeitet seit insgesamt über 28 Jahren als Arzt in Afrika. Für SolidarMed war er die letzten 13 Jahre im ländlichen Lugala-Spital in Tansania tätig. Im Gespräch erzählt der 68-Jährige, was ihn zu seinem unermüdlichen Einsatz antreibt und wo auch er an seine Grenzen kommt.
Peter, du hast 1985 in Göttingen dein Medizinstudium abgeschlossen. Woher kam dein Interesse an der medizinischen Entwicklungszusammenarbeit?
Ich sah mir als Kind immer die Bilder im Heft von missio an, einem katholischen Hilfswerk in Deutschland. Dadurch erfuhr ich das erste Mal von Krankheiten wie Malaria, Flussblindheit und Lepra, was mich sehr interessierte. Dennoch wusste ich nach dem Abitur zuerst nicht, was ich beruflich tun sollte. Schliesslich ging ich mit sehr wenig Budget für viereinhalb Jahre auf Weltreise und half unter anderem in einem Gesundheitszentrum in Kolumbien aus. Ab dann war mir klar, dass ich Tropenarzt werden wollte.
Wie kamst du dazu, für SolidarMed in Tansania zu arbeiten?
Ich hatte bereits von 1989 bis 1995 und dann wieder ab 2003 für verschiedene Organisationen als Arzt in Tansania gearbeitet. Danach hätte ich aus persönlichen Gründen eigentlich mal woanders arbeiten wollen. Ich bewarb mich deshalb bei der deutschen Forschungsstation in der Antarktis, musste aber mehrere Monate auf den Bescheid warten. In dieser Zeit kam Elisabeth Rotzetter auf mich zu, die damalige Landeskoordinatorin von SolidarMed in Tansania. Anstatt noch länger auf den Bescheid aus der Antarktis zu warten, wurde ich stattdessen leitender Arzt am Lugala-Spital in Tansania.
Lugala ist sehr abgelegen, bis zur nächsten Teerstrasse sind es 300 Kilometer. Warum wolltest du ausgerechnet dort arbeiten?
Ich mag abgelegene Orte (lacht). Ich war als Kind drei bis vier Mal pro Woche mit meinem Grossvater im Wald, später mehrere Jahre in der Arktis und während des Studiums auf einer abgelegenen Lepra-Station in Sierra Leone. Ausserdem ist der Bedarf an medizinischer Unterstützung auf dem Land besonders gross. Deshalb hat mich auch SolidarMed als Organisation überzeugt.
Seit 2009 hast du in Lugala praktisch Tag und Nacht gearbeitet. Was hat dich angetrieben?
In erster Linie mein medizinisches Interesse. Mir bereitet die Arbeit unheimlich Freude! Ausserdem war mir von Anfang an klar, dass ich mein Wissen für benachteiligte Menschen einsetzen möchte. Ich finde es zum Beispiel absolut unfair, wenn Kinder keine Perspektive bekommen, nur weil ihre Familien arm sind. Tatsächlich war meine Arbeit hier nie nur diejenige eines Arztes und später Projektleiters im Bereich der mütterlichen und Neugeborenen-Gesundheit, sondern auch die eines Sozialarbeiters. Jeden Tag kommen Menschen hierhin, die in extremer Armut leben und mit ihrer Situation überfordert sind. Das machte mir viel mehr zu schaffen als die medizinische Arbeit.
Wie meinst du das?
Die weitverbreitete Armut finde ich sehr bedrückend. Theoretisch gäbe es ein Wohlfahrtssystem, doch in der Praxis funktioniert es nicht. Und die ärmsten Menschen fallen ohnehin durch die Maschen. Denn auch wenn die Schulen gratis sind, die Uniformen und Schulmaterialien sind es nicht. Ermutigend finde ich aber, wie viel wir dazu beitragen konnten, dass diese Menschen immerhin Zugang zu einer besseren Gesundheitsversorgung haben. Denn ohne Gesundheit geht gar nichts.
Auf was bist du besonders stolz?
Darauf, wie stark sich das Lugala-Spital im Vergleich zu 2009 verändert hat: Die Infrastruktur ist dank all der Investitionen viel besser als damals, wir können mehr und bessere Behandlungen anbieten, es gibt genügend Medikamente und es gibt gut ausgebildetes Personal. Dazu trug auch die von SolidarMed gegründete Lugala-Pflegeschule bei, an der momentan 120 Schüler:innen eingeschrieben sind.
Offiziell gehst du jetzt in Pension und beendest deine Stelle als Projektleiter bei SolidarMed. Wohin zieht es dich als nächstes?
Nun, ich bin nicht jemand, der dasitzt und Däumchen dreht (lacht). Tatsächlich bleibe ich noch mindestens drei weitere Jahre am Lugala-Spital. Die lutherische Kirche, welche das Spital führt, hat mich angefragt. Ich freue mich darauf – so habe ich noch mehr Zeit, mein Wissen an die nächste Generation weiterzugeben.
Neugeborene in Tansania
SolidarMed sorgt sich um die Gesundheit von Neugeborenen, Jugendlichen und frischgebackenen Müttern. Wir bilden zudem dringend benötigtes Gesundheitspersonal aus und unterstützen Spitäler im Management.