30.09.2020
Eine Sitzbank, die Hoffnung bietet
Die Behandlungssituation für psychisch kranke Menschen in Simbabwe ist desaströs. Es gibt 15 Psychiater und 16 Psychologen für eine Bevölkerung von 14 Millionen Menschen. Mit den "Freundschaftsbänken" bringt SolidarMed eine in Simbabwe entwickelte Gesprächstherapie in sehr ländliche Gegenden im Südosten des Landes.
"Kufungisisa"
Jede/r Sechste ist in Simbabwe mit HIV infiziert, fast jede/r vierte Patient/in leidet an "Kufungisisa". Es ist das Shona-Wort für Depression und bedeutet: "Wenn du zu viel denkst". Man kann es umschreiben mit Sorgen, die nachts in den Schlaf kriechen und Angst, die alle Kraft raubt. Psychische Krankheiten werden tabuisiert. Dabei ist Suizid eine häufige Todesursache in einem Land, in dem politische Konflikte und Armut psychische Erkrankungen zusätzlich fördern.
Grossmütter als vertrauenswürdige Verhaltenstherapeuten
Der simbabwische Psychiater Dixon Chibanda entwickelte das Projekt "Friendship Bench", um dem akuten Mangel an Behandlungsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Problemen in Simbabwe zu begegnen und auch Menschen in Dorfgemeinschaften zu erreichen. Schnell kamen ihm die Grossmütter in den Sinn. Sie sind Rückgrat, Herz und Verstand vieler simbabwischer Familien. "Sie sind empathisch, die besten Zuhörerinnen, Geschichtenerzählerinnen und Trösterinnen. Sie leben in den Dörfern, wo sie gebraucht werden, und sie haben Zeit", sagt Chibanda.
So begann Chibanda erste Grossmütter als Laientherapeut/innen in psychosozialer Beratung auszubilden. Sie lernen dabei etablierte Methoden der Gesprächstherapie anzuwenden, die Therapie wird in der Sprache der Shona durchgeführt und ist an lokale kulturelle Konzepte angepasst. Die erste Stufe: "kuvhura pfungwa", den Geist öffnen, die zweite "kusimudzira", sich aufrichten. Der nächste Schritt: "kusimbisa", stärker werden. Die Laientherapeuten helfen so Schritt für Schritt ihren Patient/innen, ihre Probleme zu erkennen und Lösungswege zu finden, um mit ihren Sorgen umzugehen.
Erfolgreiches Therapie-Konzept
Mittlerweile gibt es mehr als 100 "Freundschaftsbänke", verteilt auf 72 Gesundheitszentren in Harare, der Nachbarstadt Chitungwiza und in Gweru. Die Grossmütter sind zu einer kleinen Armee von mehr als 300 Seelsorgerinnen gewachsen im Kampf gegen "Kufungisisa". Dixon Chibanda hat das Konzept wissenschaftlich validiert, Studien in internationalen Zeitschriften publiziert. Sie zeigen: die Laien-Therapeutinnen in Simbabwe sind therapeutisch mindestens so erfolgreich wie professionelle Psychotherapeut/innen.
SolidarMed bringt Freundschaftsbänke in ländliche Regionen
Überzeugt von diesem Ansatz haben SolidarMed und Dixon Chibanda ein gemeinsames Projekt für die ländlichen Distrikte Zaka und Bikita in der Provinz Masvingo entwickelt. Auch in diesen Regionen fehlen Therapiemöglichkeiten für Menschen mit psychischen Problemen. SolidarMed baut daher ein neues Therapieangebot im Distrikt Zaka auf.
Bereits ausgebildete "Trainer" haben über 100 Grossmütter, aber auch andere Dorfgesundheitsberaterinnen in der Gesprächstherapie ausgebildet. An bisher 20 Gesundheitszentren finden nun regelmässig "Freundschaftsbank"-Therapien statt. Weiter wird diese Therapieform auch in den örtlichen Gesundheitszentren angeboten. Damit wird auch der Stigmatisierung psychischer Erkrankungen entgegengewirkt. "Psychische Erkrankungen sind behandelbar so wie andere Erkrankungen auch", sagt Dixon Chibanda. "Durch die Integration in das Gesundheitszentrum machen wir den Menschen dies stärker bewusst."
Längst gibt es die "Freundschaftsbänke" nicht mehr nur in Simbabwe, sondern auch in Malawi und auf Sansibar. Diese in Simbabwe entwickelte Gesprächstherapie wird unter Expert/innen bereits heute als Vorzeigemodell diskutiert, wie in sehr armen Ländern Menschen mit psychischen Erkrankungen effektiv geholfen werden kann.