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17.03.2023

Wenn Kinder Kinder kriegen

Die erschreckend hohe Zahl von Teenagerschwangerschaften weltweit ist sowohl ein gesundheitliches als auch ein gesellschaftliches Problem. Neben grossen Risiken für Mutter und Kind und einer erhöhten Wahrscheinlichkeit von tödlichen Komplikationen ist auch die soziale und finanzielle Zukunft vieler Mädchen gefährdet.

Das ausgesetzte Baby Innocent hier als Einjähriger wird von einer Pflegefamilie aufgezogen. Er ist bei bester Gesundheit. 

Simbabwe Am Morgen des 26. August 2021 wird vor dem Eingang eines lokalen Supermarktes in Zaka, ungefähr 340 Kilometer südlich der Hauptstadt Harare, ein Neugeborenes verlassen aufgefunden. Es ist in den Pullover einer Schuluniform gewickelt. Ein Indiz dafür, dass das Baby das Ergebnis einer ungewollten Teenagerschwangerschaft ist. Die Nabelschnur ist noch frisch, der Junge wurde wohl erst gerade in der Nacht geboren und vor dem Tor ausgesetzt.

Schätzungen zufolge sind die Hälfte aller Schwangerschaften weltweit ungewollt. Die meisten ungewollten Schwangerschaften im Vergleich zu den gewollten findet man trotz positiver Entwicklung immer noch in Afrika südlich der Sahara. Dies, obwohl die Wahl, ob man Kinder will und wie viele, an den meisten Orten den Menschen gesetzlich freigestellt ist und Verhütungsmittel weitverbreitet sind. Dennoch bleibt dieses grundlegende Selbstbestimmungsrecht in Realität gerade vielen Frauen verwehrt. Gleichberechtigung der Geschlechter wäre ein grosser Treiber dieses Rechts.

Teenagerschwangerschaften sind ein Gesundheitsrisiko

Gerade bei Minderjährigen ist eine Schwangerschaft ein grosses Risiko. Jedes Jahr gibt es schätzungsweise 21 Millionen Schwangerschaften von heranwachsenden Mädchen im Alter von 15 bis 19 Jahren in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Ungefähr die Hälfte davon, also mehr als 10 Millionen, sind ungewollt. Fast ein Drittel der Frauen in diesen Ländern werden jünger als mit 19 Jahren zum ersten Mal Mutter. Sie bekommen als Kind selbst ein Kind.

Der Körper eines Mädchens ist noch nicht vollständig für eine Schwangerschaft vorbereitet und Komplikationen für Mutter und Kind sind häufiger als bei älteren Schwangeren: Die weltweit führende Todesursache bei Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren sind Komplikationen rund um Schwangerschaft und Geburt. Das liegt am erhöhten Risiko einer Eklampsie* und von Infektionen der Gebärmutter im Vergleich zu erwachsenen Frauen. Ausserdem gibt es durch das Stigma und die Verzweiflung, jung schwanger zu sein, oftmals unsachgemäss durchgeführte Aborte. Bei Teenagerschwangerschaften werden die Babys häufiger zu früh und mit einem zu niedrigen Geburtsgewicht auf die Welt gebracht.

Zahl der Geburten 15 bis 19-jähriger Mädchen je 1’000 Geburten. Quelle: Weltbank, UNO, 2017

Fokus auf Gesundheitsangebote für Jugendliche

Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt acht Standards zur Gesundheit von Jugendlichen. SolidarMed hilft diese Standards in den Programmländern einzuführen. Gesundheitsangebote sind leider oft nicht auf die spezifischen Bedürfnisse von Jugendlichen zugeschnitten und finden in dieser Altersgruppe entsprechend wenig Akzeptanz. Sie empfinden mangelnder Respekt des Pflegepersonals, Missachtung der Privatsphäre, fehlende Vertraulichkeit und Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung. In der Folge meiden Jugendliche medizinische Einrichtungen, was wiederum ungewollte gesundheitliche Folgen und verfrühte Schwangerschaften zur Folge haben kann. Die Senkung der Zahl an Teenagerschwangerschaften ist ein Ziel der nachhaltigen Entwicklungsziele Nr. 3 und Nr. 5 der Vereinten Nationen.

Aber nicht nur die gesundheitlichen Risiken sind ein grosses Problem, sondern auch die gesellschaftlichen: die betroffenen Mädchen sind gezwungen die Schule abzubrechen und der Weg in noch grössere Armut ist oft unumgänglich. Besonders wenn sie von Familienangehörigen und den Kindsvätern alleingelassen werden. Die Gründe der Mutter für die Aussetzung von Innocent, wie der Junge später genannt wird, sind Spekulation. Es sind aber ähnliche Problematiken zu vermuten. 

Gruppe von Eltern, die an einem Eltern-Kind-Kommunikationskurs über die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Jugendlichen in Pahlela teilnehmen.

Kinderheirat und unzureichende Aufklärung von Jugendlichen

In Simbabwe sind frühe Schwangerschaften der Grund für 30 Prozent der Müttersterblichkeit. Frühe Schwangerschaften kommen besonders deshalb vor, weil Kinderheirat gesellschaftlich verankert ist, der Zugang zu Verhütungsmitteln und Aufklärung für junge Menschen unzureichend ist und Mädchen Opfer von Missbrauch werden. Obwohl Simbabwe im Jahr 2020 beschlossen hat, dass schwangere Mädchen nicht von der Schule ausgeschlossen werden dürfen, ist die Realität oft eine andere. Die Regierung hat nun letztes Jahr gehandelt und beschlossen, eine Heirat erst ab 18 Jahren zuzulassen. Die Anzahl Kinderhochzeiten hat sich während der Covid19-Pandemie noch weiter erhöht und ist in ländlichen Gebieten deutlich höher als in den Städten. Bis das Gesetz greift, ist also noch viel zu tun. Es fehlt an Informationen zu Verhütung und Aufklärung ebenso wie zu den Rechten, die den jungen Menschen zustehen. Zusätzlich sind medizinische Dienstleistungen nicht zugeschnitten auf Jugendliche – sei es für Verhütungsangebote oder für Schwangerschaftsvorsorgen.
 

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SolidarMed setzt reproduktive Gesundheit als Schwerpunkt

SolidarMed hat diese Problematik schon vor einigen Jahren erkannt und die sexuelle und reproduktive Gesundheit von Jugendlichen in der Provinz Masvingo als Schwerpunkt gesetzt. Bei den von SolidarMed initiierten Gemeindeversammlungen wiesen Dorfbewohner:innen darauf hin, dass mangelndes Wissen über Sexualität und Fortpflanzung bei Jugendlichen der Hauptfaktor für Teenagerschwangerschaften sei und sofortige Aufmerksamkeit erfordert. Jugendliche sollen früh mit Informationen versorgt werden. 

«Diese Treffen statten uns mit Informationen aus, um mit unseren Kindern sinnvolle Konversationen über Sexualität und Fortpflanzung zu führen.»

Eine Mutter nach dem Treffen für Eltern.

Traditionellerweise gehört die Aufklärungsarbeit in die Verantwortung der Onkel und Tanten. Aufgrund finanzieller Notlage sehen sich jedoch Erwachsene vermehrt gezwungen, ihre Gemeinschaften zu verlassen und Arbeit in den Städten zu suchen. Deshalb werden diese Traditionen und Strukturen aufgebrochen und es entstehen Wissenslücken bei den Kindern und Jugendlichen. Bei der Dorfversammlung wird klar, dass viele Eltern überfordert sind und nicht wissen, wie sie das Thema ansprechen und angehen sollen. Es ist ihnen gleichzeitig aber klar, dass sich die Zeiten geändert haben und sie eine aktive Rolle übernehmen wollen. SolidarMed hat zusammen mit den nationalen Gesundheitsbehörden beschlossen, die Eltern dabei zu unterstützen und initiierte entsprechende Kurse. Sie werden geschult, wie sie mit ihren Kindern über Beziehungen, Entwicklung und Sexualität reden können.

Anna Mubaiwa, eine Dorfgesundheitsberaterin aus dem Pahlela Gesundheitszentrum, trifft sich mit einer Gruppe von neun Eltern aus ihrem Dorf. Ihre Kinder sind an diesem Tag in der Schule. Anna Mubaiwa wird mit den Eltern heute über das Thema sexuelle Beziehungen im Allgemeinen sprechen.

Dorfgesundheitsberaterin Anna Mubaiwa ist von SolidarMed ausgebildete Mentorin für die Kommunikation zwischen Eltern und ihren Kindern am Pahlela Gesundheitszentrum in Simbabwe.

Die Dorfgesundheitsberaterin Anna Mubaiwa bespricht ihre Notizen mit dem Projektassistenten Tawanda Magara von SolidarMed.

«Diese Treffen haben uns mit Informationen ausgestattet, um mit unseren Kindern sinnvolle Konversationen über Sexualität und Fortpflanzung zu führen. Vorher hatte ich keine Ahnung, wie ich ein solches Gespräch führen sollte», sagt eine Mutter im Anschluss. Die Eltern werden auch darüber informiert, dass es verboten ist, ihre Töchter vor dem 18. Lebensjahr zu verheiraten und sie bei Missachtung dieses Gesetzes gerichtlich belangt werden können. Am Wochenende wird die Dorfgesundheitsberaterin mit den Kindern ebenfalls eine Versammlung abhalten – zum selben Thema. Insbesondere für die jungen Menschen werden die Informationen altersgerecht und teilweise auch durch Peers – also Gleichaltrige – vermittelt. Die Jugendgruppen werden aufgeteilt: 10 bis 13-jährige werden getrennt von den 14 bis 19-jährigen. Für beide – Eltern und Kinder – geht es darum, sich offen untereinander auszutauschen. 

Das Ziel ist klar: die Häufigkeit von Teenagerschwangerschaften, aber auch von Geschlechtskrankheiten und HIV soll reduziert werden. Die jungen Menschen müssen über ihre Rechte Bescheid wissen. Und für die Mädchen, die früh schwanger werden, gibt es von SolidarMed unterstützte Selbsthilfegruppen, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Zusätzlich werden Möglichkeiten und die Wichtigkeit der Schwangerschaftsvorsorge thematisiert und werdende Mütter motiviert, diese durchzuführen. 
 

«Ich bin nun gewappnet die Fragen meines Sohnes zu beantworten.» 

Ein Elternteil nach dem Treffen für Eltern. 

Weil SolidarMed zusammen mit den simbabwischen Gesundheitsbehörden das Thema zu einem Fokus erklärt hat, sind auch Gesundheitseinrichtungen direkt einbezogen. Untersuchungen zeigen, dass 67 Prozent der weiblichen Jugendlichen zwischen 10 und 19 Jahren keinen Ort finden, an dem sie sexuelle und reproduktive Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen können. In Simbabwe fehlt es jedoch lokal an finanziellen Mitteln, weshalb SolidarMed diese Lücke ausfüllt. 

Das Gesundheitspersonal wird geschult, damit junge Menschen in einem geschützten Rahmen qualitativ hochwertige und auf sie abgestimmte Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen können. Auch die psychische Gesundheit spielt eine grosse Rolle, um die Widerstandsfähigkeit, das Wissen und die Selbstbestimmung von Jugendlichen zu stärken. Sie sind schliesslich die Zukunft für eine wirtschaftlich und gesundheitlich bessergestellte Gemeinschaft. Zusätzlich wird dort in Infrastruktur investiert, wo es dringend nötig ist. Sei es, weil es kein ein intaktes Gebärbett gibt oder weil fliessendes Wasser für die Geburtsabteilung fehlt, was Infektionen begünstigt. 

Das ausgesetzte Baby Innocent ist nun in sicheren Händen. Der Fall wurde damals der Polizei gemeldet, die es ins Distriktspital nach Ndanga brachte, während das Sozialamt versuchte, ein Zuhause zu finden. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel konnte sich aber weder das Spital noch das Sozialamt direkt um es kümmern. SolidarMed wurde involviert. Der Junge brauchte dringend Babyersatznahrung, um überleben zu können. SolidarMed nahm ihn deshalb in das Baby-Ernährungsprogramm auf. In der Zwischenzeit ist Innocent bereits über 18 Monate alt und wurde von liebevollen Pflegeeltern aufgenommen. Er ist bei bester Gesundheit und legt konstant an Gewicht zu.

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