Zuckerkrank: Ein Todesurteil im ländlichen Tansania
Zwei Dosen Insulin täglich und sehr viel Selbstdisziplin erlauben Salvina Kilunda heute ein fast normales Leben. Dank einer genialen Erfindung überlebt sie trotz ihrer Zuckerkrankheit.
Salvina strahlt. Das morgendliche Ritual ist geschafft: Eine leichte Morgenmahlzeit. Der Stich in den Finger zur Blutzuckermessung. Die Insulinspritze in den Oberschenkel. Jetzt packt sie ihre Schulbücher und macht sich in ihrer roten Schuluniform auf den Weg. Schulbus gibt es hier in Malinyi keinen. Und manchmal brennt die Sonne auch schon frühmorgens gleissend heiss auf der Stirn. Etwas vergisst Salvina nie: den kleinen Notvorrat an Traubenzucker und ihr Blutzuckermessgerät. Ihre Lebensversicherung für unterwegs, falls der Blutzuckerspiegel unerwartet und plötzlich abfällt.
Salvina Kilunda ist heute 25 Jahre alt. An den meisten Orten in Afrika südlich der Sahara wäre sie bereits tot. In ihrer Pubertät traten immer stärkere Schmer- zen in den Beinen auf. Darmbeschwerden häuften sich. Sie verlor an Gewicht. Als sie schliesslich das Spital in Lugala aufsuchte, war sie nur noch Haut und Knochen. Die Diagnose: ein Typ-1-Diabetes. Salvina bildete kein körpereigenes Insulin, ihr Zucker-Stoffwechsel war gestört und damit ihr Leben ernsthaft gefährdet.
«Die meisten Betroffenen können sich eine Insulintherapie und regelmässige Untersuche nicht leisten.»
Emmanuel Chogo, Medizinischer Leiter Lugala Spital
Kinderdiabetes ist ein Todesurteil in weiten Teilen Afrikas
Salvina Kilunda hatte enormes Glück. Denn am Spital in Lugala traf sie auf den erfahrenen Kliniker Stanislaus Makassi. Er war auf die in dieser Gegend noch recht seltene Erkrankung bei Jugendlichen sensibilisiert und testete Salvinas Zuckergehalt im Blut. Die Diagnose
war eindeutig: Salvina benötigte dringendst eine Insulintherapie. In Lugala konnte sie diese dank der guten Versorgung und dem ausreichenden Ausbildungsstand des Personals erhalten. «Die Normalität in weiten Teilen Tansanias sieht leider noch immer anders aus», sagt Peter Hellmold, bis Frühling 2018 im Auftrag von SolidarMed Chefarzt in Lugala.
Das beginnt mit den Kosten für die Therapie: Die meisten Menschen im ländlichen Afrika tragen ihre Krankheitskosten selbst und sind nicht Mitglied einer Krankenkasse. Sie können sich die lebenslangen Behandlungskosten nicht leisten und sterben daher meist un- oder unterbehandelt. Weiter erfordert die Krankheit ein gewisses Verständnis der eigenen Stoffwechselprobleme. Die Patient/innen müssen den Blutzuckerspiegel selbstständig messen und die korrekte Menge an Insulin berechnen können, für Menschen mit wenig Schulbildung eine grosse Herausforderung.
Vor allem aber scheitert die Therapie, weil das lebensnotwendige Insulin zu Hause nicht aufbewahrt werden kann. Das künstliche Eiweiss erfordert eine kühle Lagerung, idealerweise bei Temperaturen zwischen 4° und 8° C. Im ländlichen Afrika ist dies mit Temperaturen weit über 35° C und ohne Kühlmöglichkeit unrealistisch.
Self-made Kühlbox ermöglicht Überleben
Die fehlende Kühlung zu Hause war auch für Salvina eine grosse Herausforderung. Glücklicherweise kam der junge, von SolidarMed geförderte Arzt Bethod Mballa gerade von einer dreimonatigen Ausbildung in Dar es Salaam zurück. Er brachte von dort eine fotokopierte Anleitung zum Bau einer kleinen Kühleinheit mit. Sie basiert auf dem physikalischen Prinzip der Verdunstungskälte, das viele Gemeinschaften Afrikas traditionellerweise zur Kühlung von Flüssigkeiten in Tontöpfen nutzen. Durch die poröse Natur des Tons verdampft bei starker Hitze Flüssigkeit und entzieht dem Inhalt dadurch Wärme. Dadurch können Flüssigkeiten um bis zu 15° C gegenüber der Aussentemperatur abgekühlt werden.
Der Vater von Salvina, Abel Kilunda, baute eine Kühlbox nach diesem Prinzip. In einen Plastikkübel packte er ein kleines Gefäss aus Metall zur Lagerung des Insulins. Das restliche Volumen füllte er mit poröser Holzkohle aus. Wenn nun die Holzkohle regelmässig mit Wasser befeuchtet wird, verdunstet das Wasser und entzieht dem Innenraum des Kübels Wärme. Damit werden zwar keine perfekten Lagerungsbedingungen erreicht, aber das Insulin kann so über mehrere Tage bei etwa 20° C gelagert werden. Abel Kilunda hat die Kühlbox auch bereits für zwei weitere jugendliche zuckerkranke Patient/innen im Distrikt Malinyi konstruiert. Auch sie können mit ihrer Krankheit nun ein normaleres Leben führen.
Langjähriges Engagement zeigt Wirkung
SolidarMed trägt durch das langjährige Engagement in Lugala zur institutionellen Entwicklung des Spitals bei und fördert die Belegschaft. «Dadurch können wir heute glücklicherweise Menschen mit selteneren Krankheiten behandeln, die anderorts unbehandelt sterben», betont Peter Hellmold.
Salvina lebt dank ihrem findigen Vater und dem Wissen, das sich über die vergangenen Jahre im Lugala-Spital etablierte. Durch die Insulinbehandlung kann sie ihre Schullaufbahn fortsetzen und möchte schon bald ihren Traum verwirklichen: eine Ausbildung zur Krankenpflegerin oder Lehrerin.