12.07.2022
Erneute Angriffe verursachen akute Not in Mosambik
Nach Anzeichen einer Beruhigung kam es in den letzten Tagen erneut zu mehreren gewalttätigen Ausschreitungen in der Provinz Cabo Delgado in Mosambik. Barbara Kruspan, Landeskoordinatorin in Mosambik, beschreibt die dramatische Situation und wie SolidarMed vor Ort unterstützt.
"Es ist eine menschliche Tragödie."
Barbara Kruspan, Landeskoordinatorin Mosambik
Barbara, beschreibst du uns die aktuelle Situation in Cabo Delgado?
Leider sind gewalttätige Angriffe im Distrikt Ancuabe momentan an der Tagesordnung. Gerade gestern Abend gab es einen Übergriff auf ein Dorf. Wir wissen noch nicht, wie viele Menschen betroffen sind und ob Menschen dabei gestorben sind, aber Häuser wurden niedergebrannt. Die Menschen leben in einfachen Hütten, die schnell brennen. Solche Vorfälle sind momentan leider sehr häufig. Nicht jeden Tag – aber jeden zweiten. Bis vor kurzem haben sich diese Angriffe auf die Region Ancuabe beschränkt, nun sind die Unruhen hinübergeschwappt auf den Distrikt Chiúre.
Worum geht es bei den erneuten Angriffen?
Es wird davon ausgegangen, dass die Personen, die die Angriffe verüben, Splittergruppen angehören und relativ klein sind. Es sind keine gezielten Angriffe, sondern es geht darum, Terror und Unsicherheit in den Dörfern zu verbreiten. Dabei werden Personen attackiert und ausgeraubt. Momentan ist noch unklar, ob es sich um die gleichen Angreifer handelt, die zuvor im Norden gewütet haben. Es wird jedoch angenommen, dass einige davon aus den Gebieten südlich der Provinz Cabo Delgado stammen und nun zurückwandern. Dies sind aber erstmal nur Vermutungen.
Weiter hat die unsichere Situation dazu geführt, dass die allgemeine Kriminalität gestiegen ist. Es werden Überfälle verübt von Menschen, die arm sind und die Gunst der Stunde nutzen. Sie haben keine Verbindung zu den terroristischen Gruppen. Da wird beispielsweise dem Nachbarn eine Ziege oder die magere Ernte der kurzfristig bestellten Felder gestohlen. Man muss sich vorstellen, die Menschen sind bitterarm und haben keine Arbeit. Es hat nicht genug geregnet. Die Menschen können kaum überleben. Diese Nebenerscheinungen sind Ausdruck eines Überlebenskampfes, dem die Menschen hier ausgesetzt sind.
Wie geht es den Menschen, die im Süden von Cabo Delgado Schutz gesucht haben?
Viele Menschen sind erst gerade noch in die südlichen Distrikte Ancuabe und Chiúre geflüchtet und haben sich hier in Sicherheit gefühlt. Wir haben mit dem Projekt UVONA viele dieser Flüchtlinge unterstützt. Nun wird diese Sicherheit erneut in Frage gestellt, Strassen werden blockiert und Angriffe auf Dörfer verübt. Viele Menschen sind noch traumatisiert und müssen nun erneut flüchten. Die Organisation Save the Children schätzt, dass erneut über 50’000 Kinder und Erwachsene zur Flucht gezwungen wurden. Meistens können sie lediglich mitnehmen, was sie gerade bei sich haben. Sie verlieren erneut alles, was sie haben. Das muss furchtbar sein. Einige Menschen sind nun in die Stadt Pemba geflüchtet. Von vielen jedoch weiss man nicht, wo sie sind. Es ist eine menschliche Tragödie.
Wie geht es mit den SolidarMed-Projekten in Cabo Delgado in dieser Situation weiter?
Die Bedeutung des Triage-Projekts nimmt durch die Situation nochmals zu. Die Triage wird momentan im Chiúre-Spital und drei weiteren Gesundheitseinrichtungen angewandt. Das Projekt soll sicherstellen, dass Menschen in lebensbedrohlichen Lagen rasch versorgt werden. Nun nimmt der Druck auf diese Zentren zu, denn es gibt noch mehr Menschen, die versorgt werden müssen. Die Wichtigkeit einer guten Triage ist somit erst recht essenziell.
Die Geflüchteten direkt unterstützen können wir mit unserem UVONA-Projekt. Dieses wird in Chiúre durchgeführt. Ab nächster Woche werden wir zudem mobile Kliniken in Pemba unterstützen. Weil so viele Menschen von Ancuabe nach Pemba geflüchtet sind, kommen die Gesundheitszentren hier an den Anschlag. Es fehlt insbesondere an medizinischem Personal, aber auch an Verbrauchsgütern wie Spritzen oder Kathetern.
In Ancuabe können wir momentan nicht mehr arbeiten – die Lage ist dort zu angespannt. Auch in Chiúre gab es unsichere Momente. Nicht alle Strassen sind passierbar und unsichere Gebiete müssen gemieden werden. Wir beobachten weiterhin, wie sich die Lage entwickelt und passen unser Verhalten laufend an.
«Für uns ist es wichtig, wo es möglich ist, weiter aktiv zu sein und damit auch zu zeigen: "Wir stehen Seite an Seite"»
Barbara Kruspan, Landeskoordinatorin Mosambik
Wie informierst du dich eigentlich über das aktuelle Geschehen vor Ort?
Gemeinsam mit Helvetas haben wir eine Sicherheitsberaterin. Sie ist gut informiert und hat Verbindungen zum Militär und zur UNO. Aber auch über NGO-Netzwerke, Arbeitsgruppen und informell von KollegInnen erfährt man recht schnell, wenn etwas passiert. Natürlich muss man Vorsicht wahren, weil die Informationen teilweise noch nicht bestätigt sind. Das Verbreiten von Unwahrheiten wird von der Regierung gebüsst. Das Gesetz ist diesbezüglich sehr strikt.
Wie sind die Umstände in den Umsiedlungsdörfer? Besteht die Gefahr von Krankheitsausbrüchen?
Die Gefahr, sich mit Malaria anzustecken, besteht mittlerweile immer. Die Krankheit ist bereits endemisch. In den Lagern gibt es zu wenig Moskitonetze. Der Umstand, dass sehr viele Menschen auf kleinem Raum leben, verschärft die Situation. Und dann ist da das Problem mit dem Wasser. Aufgrund der Trockenheit ist das Wasser sehr knapp und es reicht nicht für alle. Die Tatsache, dass die Menschen in ständiger Bewegung sind, macht es schwierig, eine langfristige Lösung aufzubauen. Zu diesen Versorgungsthemen kommen soziale Probleme. Es wird angenommen, dass die häusliche Gewalt gestiegen ist, weil Männer in ihrem Elend trinken und gewalttätig werden. Zudem hat die Zahl der Kinderschwangerschaften zugenommen und es gibt mehr Mädchen, die verheiratet werden, weil die Eltern sie nicht mehr ernähren können. Erschwerend kommt hinzu, dass die schwangeren Frauen abgeschnitten von den Gesundheitszentren sind und ohne medizinische Begleitung gebären. Es gibt noch keine Statistiken dazu, aber die Zahl an vermeidbaren Todesfällen hat sich dadurch höchstwahrscheinlich vergrössert.
Ist der Bedarf für Hilfe durch die Angriffe somit gestiegen?
Ja, eigentlich schon. Die Projekte sind für eine bestimmte Anzahl Menschen geplant. Nun müssen plötzlich viel mehr Menschen versorgt werden. Natürlich braucht es dann auch mehr Mittel. Deshalb sind eigentlich alle unsere Projekte betroffen. Es sind nicht nur mehr Verbrauchsmaterialien und Fachkräfte, es gibt auch mehr Abfall und der Anspruch auf Sauberkeit erhöht sich, damit sich keine Keime ausbreiten. Das ist besonders schwerwiegend, da momentan fast kein Wasser vorhanden ist.
Für uns ist es wichtig, wo es möglich ist, weiter aktiv zu sein und damit auch zu zeigen: «Wir stehen Seite an Seite». Gerade jetzt, wo sich andere Organisationen zurückgezogen haben. Niemand soll sich in Gefahr bringen, aber wir versuchen, die Not zu lindern und diese Krise gemeinsam durchzustehen. Das finde ich sehr wichtig.
(Das Gespräch fand am 24.06.2022 statt.)
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