19.01.2022
«Wir müssen die Ursachen an der Wurzel packen.»
Die gebürtige Uganderin und ausgebildete Medizinerin Josephine Among Muhairwe (43) war seit Anfang 2016 Landeskoordinatorin in Lesotho. Bevor sie SolidarMed Ende Oktober verlassen hat, nutzte Pierina Maibach die Gelegenheit, mit ihr über die Arbeit in Lesotho zu sprechen.
Josephine Among Muhairwe ist eine in Uganda ausgebildete Ärztin mit einem Master-Abschluss in Public Health von der London School of Hygiene and Tropical Medicine in England. Momentan promoviert sie in Global Health an der Universität Genf. Bevor sie 2016 als erste afrikanische Landeskoordinatorin zu SolidarMed kam, hatte sie verschiedene Positionen in Stiftungen, Organisationen und Gesundheitseinrichtungen in Uganda, Sierra Leone, Grossbritannien und den USA inne. Ihre Interessen und Erfahrungen liegen unter anderem in den Bereichen Mütter- und Kindergesundheit, HIV/Aids, Malariaprävention und Stärkung von Gesundheitssystemen. Josephine ist verheiratet und hat zwei Kinder. Im Jahr 2019 gewann sie zusammen mit dem SolidarMed-Kollegen Isaac K. Ringera den renommierten Pfizer Award for Infectious Diseases.
«Die mobile Klinik, die äusserst benachteiligte Menschen erreicht, liegt mir sehr am Herzen.»
Du hast in vielen Ländern gelebt und gearbeitet. Wie wichtig sind diese Erfahrungen?
Ich würde sagen, der wichtigste Aspekt ist meine Herkunft – Uganda. Dort bin ich geboren, mich medizinisch ausgebildet und erste Arbeitserfahrung gesammelt. Weil ich aber auch in viele andere afrikanische Staaten gereist bin, habe ich ein klares Verständnis der Kultur, auch wenn es natürlich Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Die Arbeit in Sierra Leone während des Ebola-Ausbruchs hat mich sehr widerstandsfähig gemacht. Und schliesslich habe ich in Grossbritannien und in den USA die westliche Welt zu verstehen gelernt. Ich denke, das ist eine sehr gute und wichtige Mischung, um in der internationalen Zusammenarbeit erfolgreich zu sein.
Erzähle mir mehr über die Zeit in Sierra Leone.
Der Auftrag dort war es, eine Malaria-Präventionskampagne mit Fokus auf Schwangere, stillende Mütter und Kinder unter fünf Jahren zu starten. Doch dann kam Ebola und Malaria fiel aus dem Blickfeld. Wenn die Menschen an einer anderen Krankheit sterben – wie in den letzten Monaten wegen Covid-19 – geraten andere Krankheiten in den Hintergrund. Wir führten Ebola-Präventionsprogramme durch, sprachen direkt mit den Menschen. Aber auch klinische und humanitäre Arbeit gehörte dazu. Es war hart, so viele Menschen - und sogar Kollegen - sterben zu sehen.
Die Position der Landeskoordinatorin beinhaltet viele verschiedene Bereiche. Was hat dich daran gereizt?
Mein Vater war orthopädischer Chirurg und meine Mutter Pflegefachfrau. Ich stamme also aus einer medizinischen Familie. Für die Medizin habe ich mich aus Leidenschaft entschieden und weil bei SolidarMed der klinische mit den anderen Bereichen in einer Position vereint war, reizte es mich. Ich konnte also immer noch Patient:innen sehen, was mich nahe bei der Realität hielt und mir half, den Kontext zu verstehen. Man kann nur dann wirkungsvolle und qualitativ hochwertige Programme entwerfen und leiten, wenn man die Probleme von der Wurzel her kennt. Dieser Aspekt der Arbeit hat mir eine zusätzliche Portion Motivation verschafft. Akademische Forschung bedeutet zusätzlich Beweise zu erbringen, die wiederum einen Unterschied für Individuen und die öffentliche Gesundheit machen. Es ist wichtig, dass diese Bereiche eng miteinander verknüpft sind. Für mein Privatleben hätte ich einen dieser Bereiche aufgeben können, um eine bessere Work-Life-Balance zu finden [lacht].
Welches sind deine grössten Erfolge?
Natürlich kann ich die Erfolge der letzten Jahre nicht allein für mich verbuchen. Aber bin ich schon stolz darauf, dass es uns gelungen ist, SolidarMed beim Gesundheitsministerium als starker Partner zu positionieren. Die Arbeit und Unterstützung unserer Organisation wird sehr geschätzt und hat einen direkten Einfluss auf medizinische Richtlinien und strategische Projekte – wir sind wichtig für die Gesundheitsversorgung. Zudem konnte ich das Team und die thematischen Schwerpunkte sinnvoll erweitern. SolidarMed führt nun in Lesotho eine viel grössere Palette an wirkungsvollen Projekten durch als zu Beginn meiner Tätigkeit. Mit der mobilen Klinik (siehe Artikel S.4) erreichen wir die schwächsten Menschen der Gesellschaft mit medizinischer Grundversorgung. Das ist ein Projekt, das mir sehr am Herzen liegt.
Welches war die grösste Herausforderung?
Das Ziel von SolidarMed ist es, die Lücken in den Gesundheitssystemen zu schliessen. Bestehende Programme zu duplizieren oder Interventionen, die sich überlappen, sind nicht zielführend. Lücken zu schliessen, bedeutet aber eine gute Partnerschaft mit dem Gesundheitsministerium und den Verantwortlichen auf Distriktebene aufzubauen. Die Projekte anderer Organisationen und die von uns müssen sich ergänzen. Diese Zusammenarbeit aufzubauen, war am Anfang nicht immer einfach.
Was unterscheidet SolidarMed von anderen Organisationen?
Die langfristige strategische Planung zusammen mit Partner:innen und die Gewinnung von Erkenntnissen für neue Projekte. Hauptsächlich ist es die Kombination von Forschung mit Projektdesign und -management zusammen mit der Nähe zu Patient:innen. SolidarMed arbeitet sehr kontextbasiert: z.B. in einem Land mit einer humanitären Krise wie Mosambik muss man vorderhand humanitäre Hilfe leisten und keine grossen Forschungsprojekte konzipieren, wie wir es hier die Möglichkeit haben. Die Programme werden gemeinsam mit lokalen Partnern, wie z.B. den Gesundheitsministerien, so entwickelt, dass sie nachhaltig sind.
Wie erreicht man flächendeckende Gesundheitsversorgung in Lesotho?
Flächendeckende Gesundheitsversorgung hat viel mit Qualität und Zugang zu medizinischer Leistung zu tun - das muss bei jedem Projekt im Mittelpunkt stehen. Wenn man sich weiterhin auf Mütter und Kinder konzentriert, erreicht man ganze Familien und einen grossen Teil der Bedürftigen. Darüber hinaus bekämpfen wir mit einem neuen Projekt nicht-übertragbare Krankheiten. Diese sind in den vergangenen Jahren zusätzlich zu den Infektionskrankheiten eine grosse Herausforderung geworden. Die Stärkung des Gesundheitssystems als Ganzes muss ein zentraler Aspekt der Arbeit von SolidarMed bleiben.